In den Diskurs zwischen Stadt und Planung, Politik und Stadtentwicklung hat sich Kunst längst aktiv eingeschaltet. Wo im gut genährten Westen der Republik stadtpolitisches Engagement von Kunst und Kultur immer noch stiefmütterlich behandelt wird, obwohl gerade hier aus der ökonomisch guten Lage eine Verpflichtung zu bürgerschaftlichem Engagement entspringt, hat der Osten die große Welle stadtpolitisch engagierter Kunstprojekte langsam hinter sich. Im diskursiven Rausch von Partizipation, sozialer Emphase und dem Weg der Kritik in den Kunstmarkt verliert sich hier und da die Spur einer Kunst, die sich politisch engagiert und gleichzeitig mit einer auch ästhetischen Selbstbehauptung in den öffentlichen Raum einschreibt. Mit ihr treten die inhärenten Möglichkeiten einer künstlerischen Argumentation auf der Basis von Ambivalenz und Andeutung, Nachbarschaft und Kommentar in den Hintergrund.
„2 oder 3 Dinge die ich von ihr weiß“ zeigt unter dem Titel von Jean-Luc Godard solche Positionen, die politisches Engagement und künstlerische Selbstbehauptung im stadtgesellschaftlichen Kontext durch eine gerade auch ästhetische Sprache verknüpfen. Sie garantieren damit der Kunst einen autonomen wie offenen Äußerungssektor im öffentlichen Bild der Gesellschaft. Von konkret politisch engagierten Haltungen bis zu assoziierbaren Formen künstlerischen Denkens und Handelns eröffnet die Ausstellung ein ambivalentes Feld von Positionen, auf dem sich ein neues Selbstbewusstsein der Kunst abzeichnet, das den öffentlichen Raum als offenes Arbeitsfeld fordert, besetzt und autonom bespielt.
„1000 Jahre sind ein Tag“ von Manuel Graf wirft in einem vermeintlich unbegründeten Mix architektonischer Fragmente verschiedenster Epochen auf den Plattenteller von Udo Jürgen’s gleichnamigen Song. Daß die TV- Sendung „Es war einmal.....“, die mit dem Song eingeleitet wurde, in kindlich einfacher Weise die Welt erklärte, kann hier vielleicht als Hinweis helfen. Grafs subtil eingefädelter Culturejam, in dem sich Ruinen und solche Architekturen, die gerade auf dem Tiefpunkt ihrer städtischen Karriere angekommen sind (wie beispielhaft der Bertha- von- Suttner- Platz in Düsseldorf), um eine übermythologisierte Grafik Anselm Kiefers drehen, in der nun nicht germanisch Götter sondern Bart Simpson im Glorienschein erstrahlen, lässt die Stadt in hoch ästhetischer Weise als Plattform erscheinen, auf der die linearen Kontinuitäten von Historie aufgelöst sind, um in einem aktualisierten, markanten Nebeneinander neu aufgelegt zu werden. Grafs als kindlich-naive Erklärung der aktuellen Welt getarnte Einlassung thematisiert profund die Paradigmenwende von der linearen Kontinuität der Historie zur simultanen Aufführung jedweder Geschichte auf der städtischen Bühne unserer aktuellen Gesellschaft.
Jeanne van Heeswijks Dokumentation ihres Projekts „De Strip“ spiegelt im Zusammenhang mit den Düsseldorf Arcaden in Bilk die komplexe Entwicklung städtischer Sequenzen. Wo hier aktuell ein neues Shoppingcenter entstanden ist, geht van Heeswijks Projekt auf eine verwaiste Anlage derselben Art in einem prekären holländischen Stadtquartier ein. Das Center, das einst Stadtzentrum war, wurde wegen ökonomischer Unrentabilität aufgegeben, wodurch auch das soziale Zentrum des Quartiers verfiel. Van Heeswijk entwickelte über Jahre hinweg mit den Anwohnern zusammen das Center zum Kulturzentrum mit Museumsabteilung, Sozialen Treffpunkten und Gemeindehaus. Die Gemeinde fand in der Umnutzung zu einer neuen Identität und konnte sich als soziales Netzwerk emanzipieren. Über das Thematisieren problematischer Tendenzen in der Stadtentwicklung hinaus, die ökonomische Interessen über soziale Notwendigkeiten stellen, zeigt van Heeswijks Projekt, wie Kunst und Anwohner auf Augenhöhe den Anstoß zur Selbstermächtigung und Rückaneignung städtischer Räume leisten können.
Jakob Kolding verknüpft wie kaum ein anderer ästhetische Aspekte künstlerischer Autonomie mit aktivistischen Handlungen im Stadtraum. Seine subtilen Collagen thematisieren die Interferenzen von Stadt, städtischen Aktivisten, künstlerischen Interventionen und Subkultur. Dabei weisen seine Plakate, die jedem zur freien Mitnahme zur Verfügung stehen, über den Ausstellungsraum hinaus: das wilde Plakatieren dieser mit ambivalenten Botschaften versehenen Grafiken transportiert ihren poetischen Wirkungsgrad in die Stadt, wo sie im diffusen Bereich zwischen Kunst, Werbung und ästhetisch- anarchischer Autonomie Fragen nach der Stadt als zwischen allen Beteiligten jeweils neu auszuhandelnden Größe stellen.
Die Arbeit von Harun Farocki „Schöpfer der Einfkaufswelten“ ist schon ein Klassiker des Diskurses zur Stadtentwicklung. Im dokumentarischen Stil Farockis kommentiert sich das Tun derer, die die Welten des schönen Scheins in den Konsumtempeln der Stadt mit perfiden Strategien entwerfen und den Konsumenten unbemerkt entlang einer subtilen Choreografie geistig wie praktisch zum Produkt führen, selbst. Die unfreiwillige Situationskomik, die dann und wann diesem Handeln entspringt, läßt Farocki’s diskursiver Arbeit eine ästhetische Offenheit, die nicht anklagt, sondern im Dokumentarischen den Weg in die Ambivalenz städtischer Diskussionsoffenheit findet.
Thomas Rentmeister findet sich hier mit einer Arbeit wieder, die frei assoziiert vom Kurator mit dem Thema identifiziert wurde. Wo dies sicher nicht der ursprüngliche Anlass der Arbeit war, deutet sie heute auf ein Phänomen, das unter dem Zeichen aktueller Wohlfühlkultur auch mit der „Latte- Macchiatisierung der Innenstädte“ beschrieben wird. Wo Einkaufscenter und Shoppingmalls den Einzug halten, schäumt allerorts Kaffehauskultur amerikanischer Prägung aus jeder ungenutzten Baulücke. Wo man früher Kaffee mit oder ohne Milch genießen konnte, lockt heute eine Tafel wie beim Gourmetshop. Das Thema der Schäume, die bei Sloterdijk für ein System von Zellen stehen, die sich zwar benachbart, aber doch vollkommen voneinander abgeschlossen vereinzeln, scheint eine amüsante Allegorie aufzurufen, der Rentmeister nur die komplexe Farbskala von Milch bis Kaffee im ursprünglichen Sinne gegenüber zu stellen weiß: die eben nicht Schaum sondern Mischung ist.
Christoph Westermeier inszeniert in seinen Fotoarbeiten die vitrinenartige Situation der Ausstellungsräume zwischen Museum und Shopdisplay. Seine im Umfeld des Centers gefundenen, verwaisten Werbeträger aus den 60er Jahren verschneiden in den Spiegelungen die aktuelle Situation mit einer vergangenen Displayästhetik. Die Stadt wird bei Westermeier zur verbildlichten Textoberfläche, in der die gefundenen Dinge zu sprachlichen Zeichen werden und die Ware als Fetisch der ökonomischen Stadt in einem Subtext zerfließt, der gesellschaftliche Werteverhältnisse im Kontext des Stadtraum dekliniert.
Rework, Recultivate, Reappropriate the City! wurde auf Initiative von MAP als workshop von Yvonne P. Doderer mit StudentInnen der Klasse Rita McBride zum Thema der Stadtentwicklung rund um den Tausendfüssler durchgeführt. Die Recherchen führten zu einem illuster collagierten Werk, das hier gezeigt wird.
Glen Rubsamen’s Arbeit „Shop-Rite“ spiegelt den unendlichen Himmel, der sich nicht nur über der weiten Fläche der Bilker Arcaden abzeichnet, sondern auch andernorts über den flachen Gewerbeagglomerationen ungeahnte Horizonte im sonst dichten Geflecht der Innenstädte eröffnet. Die melancholisch von den unendlichen Parkflächen ins abendliche Blau ragenden Pylone der Warenhausketten und Fastfood- Restaurants begleiten die Silhouetten der Bäume in eine ungewisse Zukunft, in der Natur vielleicht nur noch als Spiegelung ihrer Selbst die Ränder der Boulevards schmückt.
Rita McBride’s Projekt „Mae West“ ist nach jahrelangem Kampf endlich realisiert. Als manifeste Größe und mit annähernd 60 Metern Höhe steht sie als Denkmal eines einzigartigen, jahrelangen gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses am Effnerplatz in München. Über die abstrakte Form des Kunstwerks und ihre Eigenschaft als gesellschaftliche Projektionsfläche entsteht gerade ein Buch, das den unglaublichen Schwall an öffentlicher Meinung zu kanalisieren sucht. Vom „Kurvenstar am Tunnelmund“ bis zum assoziativen Vergleich mit Kühltürmen, Eierbechern und Mülleimern zieht sich eine illustere Kette öffentlicher Partizipation, die ganz besonders durch das ebenfalls in der Ausstellung gezeigte Video „Mae West“ (Regie: Markus Ambach, Musik: Christoph v. Charmier) losgetreten wurde, in dem der Regisseur im Auftrag der Künstlerin das Objekt der „öffentlichen Begierde“ als frei verfügbare Projektionsfläche thematisiert. Das ebenfalls gezeigte Bauschild, auf dem die Künstlerin selbst im Stil klassischer Pin-ups auf ihrer Skulptur posiert, unterstreicht den ambivalenten Charakter öffentlicher Begierden, bei denen der Künstler selbst unweit der Objekthaftigkeit zur Projektionsfläche von Markt und gesellschaftlichen Begehrlichkeiten wird.
Peter Pillers Arbeit über den Dückerweg an der A 40 bei Bochum geht einem Stadtquartier nach, das zwischen die verschiedenen Interessen urbaner Nutzungen geraten ist. Ehemals im Zentrum der Stadt Wattenscheid gelegen, wurde das Viertel Opfer des Verkehrs. Zwischen A 40 und dem Hauptschienenstrang gen Osten eingeklemmt halten sich hier nur hartnäckig diejenigen Bewohner, die den Ort weiterhin als Heimat begreifen wollen. Pillers Arbeit zeigt entlang ephemerer Spuren in Fotografien und erinnerten Zeichnungen den Niedergang einer Gegend genauso wie ihr ästhetisches Potenzial. Im Restraum zwischen den Nutzungen findet er eine Landschaft, die das Unbeständige als Sprache etabliert und eine Poesie derer schreibt, die sich in einer geduldigen Anpassung an die Umstände hartnäckig eine eigene Geschichte erfinden.
Christoph Schäfers Arbeit zeigt seine intensive Beschäftigung mit einer Teil der Leipziger Innenstadt, die einer massiven Umstrukturierung ausgesetzt ist. Besonders die bei Frühlingsrolle und Mi- Noodles vorgetragene Vision, seine Erkenntnisse in einem Filmepos monumentaler Größe festzuhalten, und das grandiose Scheitern dieser Idee, beeindruckt. Die für den Film als monumentales Musical- Schlussbild geplante Sequenz findet sich am Ende im Häschentanz am Leipziger Grillwagen reinszeniert und zeigt, wie städtische Inszenierungen und künstlerische Visionen gleichsam gnadenlos scheitern können, wobei letztere nicht fatale, sondern inspirierend einfache Lösungen im Scheitern finden, während erstere hochprekäre Stadträume hinterlassen. Schäfer ist mit seiner Arbeit einer derjenigen, die auf eindrucksvolle Weise (siehe sein Buch „Die Stadt ist unsere Fabrik“) diskursiven Stadtaktivismus mit künstlerisch- ästhetischer Produktion und Autonomie verknüpfen.
Die Arbeit von Andreas Siekmann und Peter Nagel entstand bereits 1988 und hat seitdem einen illusteren Weg durch die Stadt genommen. Als von Siekmann initiiertes Projekt in Kooperation mit Pater Nagel sollte entlang einer Siekmann’schen Stadtwanderungslinie in Flingern ein „Anti- Skulpturenboulevard“ analog zur offiziellen „Düsseldorfer Skulpturenachse“ in der Altstadt entstehen. Entgegen der prominenten Orte in bester Innenstadtlage thematisierten die Künstler hier schon früh verwaiste Stadtensemble, Randlagen und prekäre Übergangszonen. Ihren Entwurf, in dem sie u.a. den Umbau eines Hochbunkers zur Wasserkaskade und ein Bodenmosaik zur Erinnerung an ein verschwundenes Industriewerk (beides Siekmann), sowie ein „Staubmodell“ der Müllverbrennungsanlage in Flingern (Nagel) vorschlugen, zeigten sie in der Ausstellung „Meine Zeit, mein Raubtier“. Das Werk befand sich sodann als Schenkung im Eingangsbereich des alten Flingeraner Schwimmbads und wurde beim Umbau des alten Jugendstilbads zum modernisierten „Düsselstrand“ recht unpassend in den offenen Tiefgaragenbereich verlegt, wo ich es vor kurzem entdeckte.
Die Arbeit bildet einen markanten Punkt nicht nur im jungen Werk der Künstler, von denen Andreas Siekmann durch seine Documenta- Teilnahmen inzwischen einer der wichtigsten Vertreter im Thema Kunst und Stadt geworden ist. Sie bildet auch eine frühe künstlerische Eigeninitiative, in der sich die Protagonisten im Rahmen von selbstbeauftragtem Handeln die Stadt als Objekt ihrer Investigation suchten. Daß die Arbeiten weder realisiert wurden noch der wunderbaren Planzeichnung nicht gerade unbedeutender Künstler ein Minimum an Aufmerksamkeit und Respekt gezollt wurde, weißt auf die andauernd uninteressierte Haltung städtischer Behörden für den Diskurs zwischen Kunst und Stadt. Nur gut, daß dieser trotzdem stattfindet, mit oder ohne die Administration - im Zeichen künstlerischen Interesses.